Vorbemerkung:
Das Schamanische Panoptikum ist eine dynamische Sammlung von Gedanken, die ich im Zuge meiner Arbeit entwickle. „Dynamisch“ meint: Die Sammlung hat keinen Anfang und kein Ende. Sie ist nie fertig, nie abgeschlossen, sondern wird von mir sukzessive weiterentwickelt, ergänzt, (wo nötig) reformuliert, umgestellt etc. Ich habe mich längere Zeit gefragt, ob ich das Schamanische Panoptikum überhaupt im Internet veröffentlichen will. Jetzt habe ich mich dafür entschieden – mit der Einschränkung, dass ich einige Sequenzen, die ich nicht online-tauglich finde, herausgekürzt halte.
Der literarische Stil des Schamanischen Panoptikums ist durch ein paar Vorbilder inspiriert, etwa:
das Handorakel von Baltasar Gracián
zen-buddhistische und taoistische Texte
Texte der hermetischen Philosophie (was die semantische Codierung angeht)
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Schamanisches Panoptikum
Du bist der Text der Welt. Die Welt ist der Text deiner selbst. Wer sich selbst liest, liest die Welt. Wer die Welt liest, liest sich selbst.
Die Abwehr dieser Tatsache folgt aus Sturheit. Sturheit ist die Norm derjenigen, die vom Hergebrachten so profitieren, dass sie keine Änderung wollen: weder ihrer selbst noch der Welt, was dasselbe ist. Eitelkeit – egal ob moralisch, physisch oder sonst wie – ist eine Form der Sturheit. Vielleicht ist sie die subtilste Form.
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Alles ist mit allem verbunden. Alles ist mit allem im Austausch. Gesundheit ist: Gleichgewicht in der Verbundenheit, Gleichgewicht im Austausch.
Wichtig ist: das Wissen um Meidung und deren Notwendigkeit. Ihm gemäß zu handeln, ist auch eine Form der Verbundenheit, auch eine Form des Austauschs. Meidung aus Vorteilssucht, verselbständigter Angst und anderen beirrenden Gründen führt zu Ungleichgewicht.
Das Extrem kann förderlich sein: aber nur vorübergehend, nie als Standard. Das Extrem, vorübergehend, reißt unbekannte Horizonte auf. Es verlangt Einsicht in dessen Charakter und kluge Handhabe. Alternativ braucht es Glück; deshalb: stell das Glück nicht auf die Probe. Das Extrem, als Standard, führt in die Hände von Ker: unvermittelt oder sukzessiv.
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Alles zeigt. Um zu heilen, muss man sehen. Alles spricht. Um zu heilen, muss man hören.
Heilung braucht Kraft. Heilung braucht Geduld. Aufschub ist ein Missverständnis.
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Die Kräfte des Universums sind immer und überall gegenwärtig. Sie sind gleichzeitig zart und gewaltig: Orchideen und Tretminen. Man kann sie erforschen, sich ihnen hingeben oder sie um Hilfe bitten. Man kann sie nicht in die Richtung der eigenen Wünsche und Vorteile zwingen. Wer sie herausfordert und sich an ihnen überhebt, hat das Nachsehen: Goethes Zauberlehrling. Ignoranz kann glücken oder nicht; im glücklichen Fall erntet man Neutralität.
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Dein Körper ist ein Tempel.
Alter Satz – schnell gesagt, schnell gehört, dadurch noch nicht verstanden.
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Von gewissen Dingen darf man nicht sprechen bzw. nur im günstigen Moment und vor allem: in geeigneter Gesellschaft.
Wenn man von gewissen guten Dingen im ungünstigen Moment und in ungeeigneter Gesellschaft spricht, ziehen sie sich dorthin zurück, wo sie nicht angetastet werden können. Manche solche Dinge weichen überhaupt immer zurück, wenn man von ihnen spricht. Wer sie greifen will, greift nur Luft. Wer sie nicht berührt, geht durch ihren Garten und wird von den Vögeln gestreichelt.
Wenn man von gewissen schlechten Dingen im ungünstigen Moment und in ungeeigneter Gesellschaft spricht, werden sie angezogen und gewinnen an Kraft. Manche solche Dinge werden überhaupt immer angezogen und gestärkt, wenn man von ihnen spricht. Wer das nicht versteht, bringt Krieg in die Welt: im eigenen Körper und Geist; gegen andere Menschen, in und zwischen ihnen; gegen die Tiere, Pflanzen und mehr.
Man muss unterscheiden lernen, wovon man wann mit wem sprechen darf oder nicht – und was des Schweigens bedarf.
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Die Analyse, konsequent durchgeführt, ist ein Verfahren der Tötung. Ihr Instrument ist logisches Denken. Die analytische Tötung ist gut, wenn sie mit Liebe zum Leben vollzogen wird, schlecht, wenn sie ohne diese vollzogen wird.
Analyse schafft Wissen. Wissen schafft Technik. Jede Technik, die ohne Liebe zum Leben angewandt wird, gefährdet den Frieden und die Gesundheit des gesamten Planeten. Der Dreisprung lautet: Aus Wissen wächst Können. Aus Können wächst Macht. Aus Macht wächst Verantwortung.
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Manches Wissen drängt dich direkt in die Verantwortung; manches täuscht vor, dich von ihr zu entledigen. Ersteres ist hierarchisch ungebunden, letzteres nicht. Während jenes fordert, dass du sichtbar und selbsttätig bist, kannst du dich hinter diesem leicht verstecken.
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Es ist besser, unter- als überschätzt zu werden. Wer nicht wahrnimmt, lässt dir alle Luft. Wer sie dir andichtet, verschmutzt sie.
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Die Kraft der Hände. Das sind 4 Wörter. Du liest sie in einer Sekunde, entwickelst sie kaum in etlichen Jahren.
Bilde dir nichts ein. Was du kannst, kannst du, weil du es nicht willst.
Die Prinzipien der händischen Suggestion sind: Reparatur, Abzug, Füllung, Schirmung.
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Nomen atque omen: die Suggestivkraft der Wörter verstehen.
Wörter sind energetisch gefüllt und mit Magneten vergleichbar. Sie haben anziehende und abstoßende Eigenschaften.
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Mit Menschen reden, die nicht derselben Ansicht sind wie du.
Vorsicht beim Wort von Menschen, deren Wangenmuskeln verhärtet sind.
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Freunde dich mit den Bäumen an. Horche in ihre Sprache hinein. Achte sie zu ruhiger Zeit, dann helfen sie dir durch turbulente. Sie sind verlässlich da: seit Jahrhunderten. Sie bleiben unbeeindruckt, wo wir zu wanken beginnen.
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Unten Baum, oben Vogel.
Ein ganzer Mensch.
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Die Verwirklichung von Neuem scheitert in der Regel nicht daran, dass das, was imaginiert wird, unrealisierbar wäre; die Verwirklichung scheitert an der Trägheit der Materie. Neue Gedanken – egal ob als Wort, Bild, Ton oder anders auftauchend – sind immer leicht und dynamisch. Ihre Natur ist Spiel. Wenn die Materie sich in günstigen Verhältnissen befindet – was für gewöhnlich erstmal heißt: sie ist aufnahmebereit –, kann sie von neuen Gedanken in Bewegung gebracht, umformiert werden. Neuen Gedanken ist dann keine Grenze gesetzt. Ihr Potenzial kann sich frei entfalten. Hingegen: Wenn die Materie sich in ungünstigen Verhältnissen befindet – was für gewöhnlich heißt: sie ist selbstgefällig, schwerfällig –, können neue Gedanken nicht ohne Weiteres auf sie einwirken. Die Gedankenschwingung prallt dann vom Stoff ab oder wird in ihm gelähmt. Sie erzeugt keine ausreichende Resonanz. Wiederum: Die Günstig- oder Ungünstigkeit der Materie hängt von bereits verstofflichten Gedanken ab. Beharrende Gedanken sind niemals innovativ; und ‚rationalisieren‘ ist eine Form des Beharrens.
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Rationalisten und Zyniker sehen scharf mit zwei Augen. Auf dem dritten sind sie blind.
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Wer die entscheidenden Momente verspielt, verspielt die Angebote des Kairos.
Vorsicht: du weißt nie, wann seine Großzügigkeit erschöpft ist.
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Einer der häufigsten Fehler: nach der Bündelung weiter binden anstatt freilassen. Der Schritt des release braucht Um-, Über-, Ein- und Weitsicht. Die 4 Sichten gehören zum Anwendungswissen. Sie sagen an: „Es ist Zeit.“ Ihr Format ist kontextuell, ihre Stimme punktuell. Sie erscheinen in Bezug und sprechen als Intuition.
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Im release muss der Jaguar schweigen. Er schweigt nur, wenn er vergisst. Er vergisst nur, wenn der Kolibri vertraut.
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©Foto pixabay
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